TTIP und TISA – Abkommen zur Abschaffung der Normen für Gesundheit

NEWS Soziales

Patientenversorgung darf keine Frage der Konjunktur und des Profits sein. Man kann nicht die ganze Welt als angewandte Betriebswirtschaft betrachten. Es gibt Dinge, die so grundlegend sind, dass sie weit mehr als eine Ware sind. Dazu gehören unter ande-rem die Gesundheitsversorgung, die kommunale Daseinsvorsorge z. B. mit sauberem Trinkwasser, mit Kindergärten, Schulen, mit Nahverkehr und Kulturangeboten!

1 TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) ist ein Transatlantisches Freihan-dels- und Investitionsabkommen, das zwischen den USA und der Europäischen Union (EU) verhandelt wird. Schon bis Ende des Jahres sollen die Grundzüge von TTIP stehen. So sei es mit den USA vereinbart, verkündete die Bundeskanzlerin vergangene Woche im Bundestag. Freihandel im Sinne von TTIP meint eine von Handelshemmnissen befreite Marktwirtschaft. „Handelshemmnisse“ sind Verbraucher- und Datenschutz, Kennzeichnungspflicht, Arbeit-nehmerrechte, Umweltschutz, Sozialstandards, Demokratie, weil sie internationalen Konzer-nen beiderseits des Atlantiks (noch) Grenzen setzen. Kulturgüter, Bildung, Gesundheitswesen, öffentliches Eigentum und Dienstleistungen sollen weitreichender als bisher dem Profitregime untergeordnet werden. Erklärtes Ziel der EU-Kommission ist, Europäische Champions (Großkonzerne) zu etablieren, die auf internationalen/ globalisierten Märkten konkurrenzfähig sind. US- und EU-Regierung(en) wollen sich mit der Zusammenlegung der beiden größten und finanzstärksten Binnenmärkte gegen die aufstrebenden Mächte der BRICS-Staaten (Brasili-en, Russland, Indien, China und Südafrika) in Stellung bringen. Zu diesem Zweck sollen ihre Wirtschaftskapazitäten konzentriert werden, ihre militärischen Fähigkeiten ausgebaut und neu formiert werden. Gegenüber allen anderen Weltregionen soll u. a. mit TTIP ihre weltwirt-schaftliche Richtlinienkompetenz als unausweichlicher Sachzwang festgeschrieben werden. TTIP ist der direkte Angriff auf unser Grundgesetz und die Rechtsstaatlichkeit. Der Grundge-setzartikel 20 (2): „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“ und die Gewaltenteilung als Grund-prinzip des demokratischen Verfassungsstaates würde durch sogenannte Investor-Staats-Klagen ausgehebelt, indem eine private Parallel-Justiz installiert wird. Diese privaten Schieds-stellen werden gegen Nationalstaaten aktiv, wenn Investoren ihre Gewinnerwartungen z.B. aufgrund nationaler Umweltgesetze geschmälert sehen und Klage vor einer privaten Schieds-stelle erheben. Die zu erwartenden Folgen sind Schadenersatzforderungen unter Umständen in Milliardenhöhe. Berufungsverfahren sind nicht zulässig. Die vorgesehenen „Investor-Staat-Schiedsverfahren“ sind bereits in der Vergangenheit häufig im Rahmen von Freihandelsabkommen angerufen worden, um gegen kommunale oder regi-onale Entscheidungen vorzugehen; besonders gegen Umweltauflagen, Konzessionsbedin-gungen oder verweigerte Betriebsgenehmigungen… • Eine mexikanische Kommune verweigerte einer US-Firma die Baugenehmigung für eine Gift-mülldeponie aus Umweltschutzgründen; Klage im Rahmen von NAFTA 15,6 Mill Dollar Strafe. • Kanada, Provinz Quebec lt. Bürgerentscheid Frackingverbot 250 Mio. Dollar Schadenersatz • Vattenfall fordert von der Bundesregierung eine Milliarden-Entschädigung für das Abschalten von AKWs Aufgrund des sehr hohen Bestands transatlantischer Investitionen, die erstmals unter den In-vestitionsschutz fallen würden, würde die Zahl derartiger Klagen deutlich steigen. In diesen Verfahren entscheiden meist kommerzielle Anwälte, die in der Rolle von Schiedsrichtern agieren. Den Schiedsverfahren mangelt es an einer - ordentlichen Gerichten vergleichbaren - demokratischen Legitimation was bedeutet: Aushebelung der Rechtsstaatlichkeit. Sie tagen im Geheimen, ihre Urteile sind völkerrechtlich verbindlich und es gibt keine Revisions- bzw. Berufungsmöglichkeit. So reicht ggf. bereits das Drohpotenzial möglicher Schadensersatzforderungen aus, um von notwendiger Gesetzgebung zugunsten der öffentlichen Gesundheit abzusehen. 2 Transparenz Fehlanzeige - Verhandlungen unter strenger Geheimhaltung Obwohl fast alle Lebensbereiche davon betroffen sind, können Politik und Öffentlichkeit nicht mitentscheiden. Verhandelt wird geheim von etwa 1000 Wirtschaftslobbyisten und Techno-kraten der EU-Kommission und den US-Vertretern. Gewählte Abgeordnete im Deutschen Bundestag und dem europäischen Parlament erhalten allenfalls vertraulich Informationen, die sie nicht weitergeben dürfen. Es geht um eine Machtverschiebung weg von politisch gewählten Entscheidungsträgern hin zu multinationalen Konzernen: Mit TTIP haben Konzerne ein Mitspracherecht bei nationalen Gesetzesvorhaben. Alle han-delsrelevanten, nationalen Gesetzespläne - Umwelt, Gesundheit, Arbeitsrecht - sollen künftig meldepflichtig sein und vorab auf ihre TTIP-Kompatibilität geprüft werden. TTIP ist aus meiner Sicht Teil der von den USA und der EU koordinierten Gesamtstrategie. Es geht um machtpolitische Ambitionen, erklärte Ansprüchen auf fremde Ressourcen, Si-cherung der Handelsströme, Neuordnung der europäischen Energieversorgung, Aufrüstung und Reorganisation der Militärapparate für offensive Einsätze, systematische Erweiterung des geografischen Interessensraums von USA/ EU/ NATO und innenpolitische Veränderungen mit Demokratieabbau bis hin zu Legitimationsfragen des politischen Systems. Die Ambitionen der EU und der deutschen Bundesregierung gehen über TTIP hinaus. TTIP, TISA, CETA (Freihandelsabkommen der EU mit Kanada) stehen im Zusammenhang mit der angestrebten geopolitischen und geostrategischen Neuordnung der Welt unter Führung der USA. Beispielsweise verlangen laut Grundsatzeinigung die Parlamentarier des US-Kongres-ses (Republikaner und Demokraten) ein entschlosseneres Vorgehen der US-Regierung ge-gen europäische Kartell- und Datenschutzgesetze, um die Interessen von US-(Internet-) Kon-zernen in Europa durchzusetzen. Ebenfalls auf höchster Geheimhaltungsstufe hat die EU mit den USA und 21 weiteren Staa-ten das Trade in Services Agreement (TISA) verhandelt. Die Verhandlungen sind geheim und finden in der australischen Botschaft in Genf statt. Dank der Enthüllungsplattform Wikileaks und verschiedener europäischer Nichtregierungsorganisationen (NGOs) sind Teile des bishe-rigen Verhandlungsstandes an die Öffentlichkeit gelangt. Sogar fünf Jahre nach Abschluss der Verhandlungen – egal, ob erfolgreich oder nicht – sollen alle Dokumente geheim bleiben. Wenn die Folgen von TISA spürbar werden, können die Verantwortlichen politisch nicht mehr zur Rechenschaft gezogen werden. 3 TISA ist eine in Verhandlungen befindliche Sammlung von Vereinbarungen in Form eines völkerrechtlichen Vertrags zwischen insgesamt 50 Staaten einschließlich der USA und der Europäischen Union. Ziel des Abkommens ist es, den weltweiten Handel mit Dienstleistungen, wozu Branchen wie Verkehr, Finanzen, Bildung oder Gesundheit gehören, zu deregulieren (Arbeitsbedingungen für Erwerbsarbeit, Arbeitnehmerschutzrechte abbauen u.a.) und nationale Dienstleistungen für ausländische Investoren und Konzerne zu öffnen. Die 50 Staaten, die über TISA verhan-deln, erbringen knapp 70 Prozent des globalen Handels im Bereich Dienstleistungen. In Deutschland wären über sechs Millionen im Gesundheitsbereich Tätige betroffen. Die Dimensionen von TISA übersteigen die von TTIP. TISA umspannt den ganzen Globus: Von Chile über die Schweiz bis Hongkong und Australien sind 50 Länder direkt betroffen – und auch alle anderen kommen unter Druck. Denn die „Wirklich guten Freunde von Dienst-leistungen“, wie sich die TISA-Verhandler nennen, wollen gezielt die Regeln der Welthandels-organisation WTO umgehen. Dort scheiterten TISA-ähnliche Vorhaben bisher am Widerstand der ärmeren Länder, die schon bittere Erfahungen mit konzerndiktierten Abkommen gemacht haben. 4 Auswirkungen auf das Gesundheitssystem Unter dem Begriff „öffentliche Dienstleistungen“ versteht man Angebote, die eine grund-sätzliche Daseinsvorsorge bieten. Beispiele sind Dienste wie die Gesundheitsversorgung, Bildung, Abfallentsorgung, Wasserversorgung und die Post. Als in öffentlicher Trägerschaft angebotene Dienstleistungen sind sie nicht gewinnorientiert und für jeden verfüg- und bezahl-bar. Ihre Vermarktung ist derzeit noch ausgeschlossen oder stark eingeschränkt. Handelsabkommen fördern die Vermarktung öffentlicher Dienstleistungen, indem sie auslän-dischen Dienstleistern den Zugang zu nationalen Märkten erleichtern und sie mit einheimi-schen Anbietern gleichstellen. Das hat zur Folge, dass jede staatliche Subventionierung öf-fentlicher Dienste entweder wegfallen oder den gewinnorientierten privaten Anbietern in glei-cher Weise zukommen muss. Davon betroffen kann fast das gesamte Spektrum an Dienst-leistungen sein, auf das wir im Alltag angewiesen sind: Wasserversorgung, Abfallentsorgung, Bildungsangebote, Sozialdienstleistungen und Gesundheitsversorgung. Mit Inkrafttreten des Vertrages werden öffentliche Dienstleistungen unter zunehmenden Kommerzialisierungs- und Privatisierungsdruck geraten. Eine Re-Kommunalisierung soll durch verschiedene Vertrags-klauseln unmöglich gemacht werden. Sie wären dann ein Vertragsverstoß.. 5 Transparenz zum Schutz von Profitinteressen Mit TISA gehört zu freiem Wettbewerb auch freier Datenfluss. Kein Land darf Unternehmen daran hindern, Nutzer-, Konto- und Gesundheitsdaten in andere Länder zu übertragen, auf sie zuzugreifen, sie zu speichern und kommerziell zu nutzen. Das schließt persönliche Daten ausdrücklich mit ein und höhlt den Datenschutz massiv aus. Gesetzliche Regelungen, die eine Datenspeicherung und -verarbeitung nur in Europa erlauben, würden so unmöglich ge-macht. Konzerne wie Amazon, Facebook und Google könnten Nutzerdaten dann in Länder übermitteln, in denen geringere Datenschutzstandards gelten und sie dort für ihre Profite nut-zen. 6 Da der „Gesundheitsmarkt“ hohe Gewinne verspricht, soll das öffentliche Gesundheits-wesen vollends privatisiert und auch international agierenden US-Konzernen erschlossen werden: ● Öffentliche Kliniken, Ärzte und Pflegepersonal werden noch stärkerem Druck als bisher ausgesetzt. Ein privatisiertes Gesundheitswesen bietet aber weder sichere, noch ausrei-chend nach Tarif bezahlte Arbeitsplätze. Ein stark marktwirtschaftlich geprägtes Gesund-heitswesen bringt die Heilberufe in die Abhängigkeit von konjunkturellen Entwicklungen. ● Erfahrungsgemäß werden durch Privatisierungen die Leistungen für die Allgemeinheit nicht besser, sondern schlechter. Über die Qualität der mit TTIP und TISA verfügbaren Dienst-leistungen und Daseinsfürsorge gibt es in den Handelsabkommen TISA und TTIP keine Aussage. In allen Einrichtungen der medizinischen Versorgung, Pflege, Betreuung und Begleitung sind heute schon schwerwiegende Folgen der gemachten finanziellen Krise sichtbar. Die prekäre finanzielle Situation ist nicht ein hausgemachtes Problem einzelner Einrichtungen, nicht ein Ergebnis von Managementfehlern und schon gar nicht Ausdruck individueller Fehler des Krankenhauspersonals, sondern Teil einer groß angelegten Strategie. Mit TISA würden diese Probleme verschärft. ● Einmal privatisierte öffentliche Dienstleistungen sollen der Öffentlichkeit auf Dauer entzogen bleiben, d.h. die Rekommunalisierung soll ausgeschlossen sein. ● Apotheken würden ggf. internationalen Ketten weichen müssen. ● Hart erkämpfte Rechte, die gesetzliche Krankenversicherung, Patientenrechte, Standards und Schutzmechanismen beispielsweise im Gesundheits-, Sozial-, Arbeits- oder Umweltbe-reich würden abgeschafft. ● Schutzmechanismen wie Zulassungsbeschränkungen bei Vertragsärzten, bei Medizin-technik und Arzneimitteln dem Schutz von „Geschäftsgeheimnissen“ nachgeordnet. ● Bedarfsplanung, Sicherstellungsauftrag nur noch unter dem Vorbehalt, dass Geschäfts-interessen nicht tangiert wären. ● Verbot der Bewerbung verschreibungspflichtiger Arzneimittel würde abgeschafft. ● Geltende Arzneimittelpreisregulierungen könnten zukünftig als Handelshindernis ver-standen werden und zu Investor-Staatsklagen führen. Folge: Gesundheitskosten werden in die Höhe getrieben und die Krankenkassenbeiträge steigen. ● Transparenz auf dem Arzneimittelmarkt ebenfalls obsolet. Zwar hat das Europäische Parlament gerade beschlossen, dass alle Ergebnisse von klinischen Studien veröffentlicht werden müssen. Der Zugang zu den aus klinischen Studien gewonnenen Daten ist durch das CETA-Abkommen, das die Veröffentlichungsrechte stark einschränkt, bereits behindert. ● Langer Patentschutz festgeschrieben: Medizinischer Fortschritt basiert darauf, medizini-sche Verfahren anzuwenden und sie stetig zu verbessern. Anders als in den USA, sind in Eu-ropa [Europäisches Patentübereinkommens (EPÜ)] Verfahren zur chirurgischen oder thera-peutischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers und Diagnoseverfahren, die am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommen werden, von der Patentierbarkeit ausgeschlossen. Dieser Tatbestand verhindert, dass die Wahl der Behandlungsmöglichkeiten durch den Patentschutz auf chirurgische Methoden, Behandlungsstandards, wirkstoffgleiche Kopien (Generika) eingeschränkt wird. Ärzte sollen sich für die am besten geeignete Maß-nahme zur Behandlung der ihnen anvertrauten Patienten entscheiden können. Durch die Handelsabkommen können Behandlungsmöglichkeiten blockiert werden. ● Das in Europa noch geltende Vorsorgeprinzip wäre nicht mehr gewährleistet. Das Vorsor-geprinzip stellt den Bürger ins Zentrum und schützt diesen z. B. vor möglichen schädlichen Umwelteinflüssen, aus Luft, Wasser, Lebensmittel, Kleidung und anderen Industrieprodukten. Das Vorsorgeprinzip verpflichtet zum vorbeugenden Handeln, also bereits bevor Gewissheit besteht über Art, Ausmaß oder Eintrittswahrscheinlichkeit einer konkreten gesundheitlichen Gefährdung.